Als sich Ludwig Engel 1945 mit einer kleinen Schlosserei selbstständig machte, hatte er sicherlich wie so viele Firmengründer hochfliegende Pläne, aber selbst seine optimistischsten Vorstellungen dürften von der Realität um ein Vielfaches übertroffen werden. Der geniale Konstrukteur und Erfinder setzte von Beginn an auf den damals noch relativ neuen Bereich der Kunststoffverarbeitung und bekam bereits 1948 für eine innovative Kunststoffpresse sein erstes Patent (dem noch so manches folgen sollte) zugeteilt. Vier Jahre später konnte er seine erste selbstentwickelte Spritzgießmaschine präsentieren, und ab 1959 war das Unternehmen Engel mit einer kompletten Baureihe moderner Spritzgießmaschinen auf dem Markt.
Schon bis dahin eine echte Erfolgsgeschichte. Zu dem Weltunternehmen (davon später mehr) machten es aber erst die nachfolgenden Generationen. Allen voran Tochter Irene mit ihrem Ehemann Georg Schwarz, die sich beide vor allem um den Ausbau des Stammsitzes in Schwertberg verdient machten und die Internationalisierung des Unternehmens vorantrieben. Eine Aufgabenstellung, die Schwiegersohn Peter Neumann 1997 mit viel Geschick und Elan übernimmt und weiterführt. Ab Ende dieses Jahres soll ihm mit Stefan Engleder (Urenkel von Ludwig Engel) ein Vertreter der vierten Generation als CEO folgen.
Heute beschäftigt das Familienunternehmen weltweit mehr als 5.200 Mitarbeiter, hat im Geschäftsjahr 2014/2015 erstmals mehr als eine Milliarde Euro umgesetzt und ist über Niederlassungen und Vertretungen in über 85 Ländern präsent. Mit neun Produktionswerken in Europa, Amerika und Asien und einer Exportquote von um die 95 Prozent verdient sich dabei das österreichische Vorzeigeunternehmen das Prädikat Globalplayer allemal. Wobei Engel dem Label Hersteller von Spritzgießmaschinen längst entwachsen ist.
Dipl.-Ing. Günther Klammer, Leitung Plastifiziersysteme im Großmaschinenwerk St. Valentin, präzisiert: "Wir verstehen uns heute als Systempartner unserer Kunden. Unsere Stärke ist die kundenspezifische Gesamtlösung aus Spritzgießmaschine, Prozessunterstützung, Werkzeugprojektierung, Automatisierung, Service und Training." Technologiebereiche, welche nicht von diesen Kernkompetenzen abgedeckt werden, erarbeitet und bieten Engel gemeinsam mit langjährigen Partnern an.
Im schon angesprochenen Großmaschinenwerk St. Valentin werden derzeit von rund 1.000 Mitarbeitern mehr als 800 Großmaschinen mit Schließkräften bis zu 5.500 t pro Jahr hergestellt. Wobei man dieses, hergestellt' durchaus wörtlich nehmen darf. Noch einmal Günther Klammer: "Es gehört zu den ehernen Grundsätzen von Engel, dass alle qualitätsbestimmenden Bauteile aus der eigenen Fertigung kommen. Auch wenn das längst aus der Mode gekommen scheint, wir glauben, dass diese hohe Fertigungstiefe für unsere anerkannte hohe Produktqualität ausschlaggebend ist. Dabei stehen wir hinsichtlich Kosten und Qualität immer im Wettbewerb zu externen Lieferanten, weshalb wir auf der einen Seite viel Wert auf hochmotivierte und bestens ausgebildete Mitarbeiter legen, gleichzeitig aber versuchen, die Produktivität und Leistungsfähigkeit unseres Maschinenparks auf einem permanent hohen Level zu halten und stetig zu verbessern."
Christoph Rafezeder, Fertigungsleiter in der Plastifizierung, präzisiert: "Ein Schlüssel zur wirtschaftlichen Fertigung ist die Komplettbearbeitung der Bauteile, möglichst in einer einzigen Spannung." Und weiter: "Das heißt, dass wir wo immer möglich auf Dreh-/Fräszentren der neuesten Generation zurückgreifen, auf denen sich die Komplettbearbeitung auch sehr anspruchsvoller Werkstücke darstellen lässt." Und selbst unter diesen "sehr anspruchsvollen" Werkstücken gibt es eine Produktgruppe, die an Komplexität und Anspruch alle anderen übertrifft: Die Schneckenwelle, kurz die Schnecke. Dieses asymmetrische spiralförmige Bauteil stellt höchste Anforderungen an Programmierung und Bearbeitung. Wie komplex die Geometrien dabei inzwischen sind, lässt sich auch daran ablesen, dass es bis dato kein 3D-CAD-System gibt, auf dem sich diese Geometrien konstruieren lassen. Dazu Klaus Geissler, Verkaufsleiter bei Weingärtner: "Wir haben ein Softwarepaket entwickelt, mit dem sich alle bekannten Schneckengeometrien programmieren lassen. Bis heute ist kein noch so modernes CAD/CAM-System auf dem Markt, das Vergleichbares leistet wie unser Programmiertool weinCAD. Mit ihm wird die Kontur des Schneckenkanals auf Basis vorgegebener Parameter wie Werkzeuge und Fertigungsmethode berechnet."
Das komfortable Weingärtner-Programmiertool allein wäre ja schon ein (guter) Grund bei jeglicher Schneckenfertigung auf eine Maschine ,made in Kirchham' zurückzugreifen. Aber bei weitem nicht der einzige. Noch einmal Klaus Geissler: "Wir verstehen uns in diesem Umfeld als ein Systemlieferant, der alle Anforderungen von der Software über eine erstklassige Maschinentechnik bis hin zur Werkzeugauslegung abdeckt."
Dass dies deutlich mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis ist, zeigt sich am Beispiel der Schneckenfertigung im Engel-Werk St. Valentin. Das Herzstück hierbei ist eine Weingärtner mpmc 600 auf der alle Schnecken mit einem Durchmesser von 18 bis 170 mm gefräst werden. Kein allzu einfaches Unterfangen, denn die Entwickler in der Kunststoffindustrie sind äußerst kreativ, wenn es um neuartige Geometrien (dazu später mehr) oder den Einsatz exotischer Werkstoffe bei Extrudern geht. Die Werkstoffpalette reicht hier von hochwertigen Nitrierstählen über Werkzeugstähle bis hin zu zusätzlich gepanzerten oder beschichteten Schneckenrohlingen. Günther Klammer erklärt, warum dies so sein muss: "Die Anforderungen an die Schnecken sind sehr hoch. Zum einen sind die verwendeten Kunststoffe oft mit hochabrasiven Bestandteilen wie Glasfasern angereichert, zum anderen treten durch die kurzen Zykluszeiten hohe dynamische Belastungen auf, ganz zu schweigen von chemischen Beanspruchungen."
Und zu den Geometrien: "Rund die Hälfte aller Schnecken haben heute eine Barrieregeometrie, bei denen ein zweiter Schneckengang mit Barrieresteg die Schmelze vom Restgranulat trennt. Das ist eine Kontur, die über andere Verfahren wie beispielsweise das Schleifen nicht mehr oder nur mehr mit einem sehr großen Aufwand abbildbar ist."
Die Eckdaten der mpmc 600 sprechen für sich. An der Hauptspindel 54 kW, 5734 Nm und 1600 min-1 im Drehbetrieb sowie 6048 Nm und 20 min-1 im C-Achs-Betrieb. Das Fräsaggregat stellt 30 kW Leistung und eine Drehzahl von 12000 min-1 zur Verfügung. Für den Drehbetrieb wird die Frässpindel mechanisch geklemmt und die Spindellager entlastet, um Beschädigungen durch Vibrationen und Schläge zu verhindern. Die B-Achse kann stufenlos in jeder beliebigen Winkellage fixiert werden. Um den hohen Genauigkeitsanforderungen gerecht zu werden, sind alle Arbeitsachsen mit direkten Messsystemen ausgestattet und zudem sind alle relevanten Motoren zur thermischen Stabilisierung wassergekühlt. Die Ölumlaufschmierung der Antriebsaggregate ist ebenfalls temperaturgeregelt.
Eigentlich sind dies allein schon mehr als genug Gründe, die für die mpmc 600 sprechen. Für Günther Klammer kommen noch einige Pluspunkte dazu: "Die Weingärtner-Maschine zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Stabilität und Steifigkeit aus. Gleichzeitig erlaubt die besondere Kinematik der Maschine eine mit bis zu fünf Achsen interpolierende Zerspanung. Das eröffnet uns bei der Schneckenfertigung viele Freiheiten." Aber die Pluspunkte im Umfeld der Maschine sind nur ein Aspekt. Klammer weiter: "Vor allem zeichnet sich Weingärtner für uns als ein kompetenter Partner aus, der nicht nur den Maschinenbau an sich beherrscht, sondern uns in allen Belangen der Anwendungstechnik unterstützt. Hinzu kommt, dass auch weiche Faktoren wie Schulung und Service höchsten Ansprüchen genügen."
Also mit der mpmc 600 wunschlos glücklich? Ein klares Ja - mit einer Einschränkung. Für die Bearbeitung kleinerer Schnecken scheint die mpmc 600 denn doch etwas überdimensioniert. Zudem ist sie derzeit vierschichtig, sprich rund um die Uhr ausgelastet. Also haben sich die Verantwortlichen von Engel und Weingärtner darüber ausgetauscht, wie denn eine zusätzliche Maschine für Schneckendurchmesser von 18 bis maximal 90 mm optimalerweise aufgebaut sein müsste.
Bei dem Austausch ist es (natürlich) nicht geblieben. Aufgrund des Engel- Anforderungsprofils wurde von Weingärtner eine spezifische Maschine für die Komplettbearbeitung kleinerer Schnecken entwickelt. Derzeit wird diese in Kirchham aufgebaut und soll anschließend in St. Valentin installiert werden.
Doch das ist eine andere (Fortsetzungs-) Geschichte.